Inspiration

André Heller wird heute 75

In meinem letzten Post habe ich angekündigt, einen Beitrag über André Heller zu schreiben, ein für mich ungemein inspirierender Mensch. Als ich mich heute mit dieser Absicht an die Tastatur setzte und eine kleine Recherche startete, stellte ich fest, dass er just am heutigen Tag seinen 75. Geburtstag feiert!

Zum ersten Mal bewusst wahrgenommen hatte ich André Heller in den 80ern, als ein Freund, der meine Vorliebe für Manfred Deix kannte, mir ein Buch schenkte, in dem der Palast der Winde, ein Pavillon in Hellers Luna Luna-Park, zu dem Deix Karikaturen beigesteuert hatte, abgebildet war. Dann gab es eine Phase, etwa vor 20 Jahren, in der ich viele seiner Songs aus den 70ern wieder- oder neuentdeckt hatte. Und kürzlich, im Dezember 2020, wurde ich durch einen Hinweis des leider noch viel zu wenig bekannten Multipolar-Magazins, einem der seriösesten, deutschsprachigen Informationsportale (herausgegeben von Stefan Korinth, Paul Schreyer und Ulrich Teusch), erneut auf ihn aufmerksam, denn in der Empfehlungsspalte des Magazins wurde auf Hellers Lied Das System von 1972 verwiesen. Daraufhin habe ich meine CD-Box „Bestheller 1967-2007“, die Das System enthält, herausgekramt, und den Song über mehrere Tage hinweg immer wieder auf Endlosschleife gestellt (eine Praxis, unter der sicher der eine oder andere Mitbewohner meiner Vergangenheit gelitten hat). Der Song hat mich dann noch einige Monate durch das Jahr 2021 begleitet, und das laute Mitschmettern hat mir viel Kraft gegeben. Ob Heller wohl, als er den Song 1972 (25-jährig) schrieb, geahnt hat, welche Energie er damit noch 50 Jahre später an eine Unbekannte (damals Vierjährige) übertragen würde?

In den letzten zwei Jahren hat er sich künstlerisch auch mit der Lockdown-Thematik auseinandergesetzt. So hat er ein Kinderbuch herausgebracht, das „eine Trostgeschichte im Wirrwarr unserer Zeit“ sein soll (Tullios Geburtstag, illustriert von Maité Kalita und Esther Martens), und er hat „Hauskonzerte“ als Konzept initiiert. Bereits im Januar dieses Jahres hatte ich mir vorgenommen, einen Beitrag über ihn zu schreiben. Damals hatte ich auf YouTube einen Mitschnitt eines Konzerts in seiner Wohnung entdeckt, das kurz zuvor stattgefunden hatte. Ich hätte es jetzt gern in diesen Beitrag eingebunden, musste aber feststellen, dass unter dem gespeicherten Link nun leider nur die Meldung „Video nicht verfügbar – Dieses Video ist aufgrund einer Beschwerde wegen Urheberrechtsverletzung von ORF nicht mehr verfügbar“ erscheint.

Stattdessen binde ich hier, bevor es unten zum System geht, ein sehr interessantes Interview ein, das er am 24.12.2016 in Marrakesch gegeben hat – und zitiere darunter einige Stellen, die mir besonders gefallen haben.

  • ab 5:52: Ich hab‘ ja früher ernsthaft geglaubt, ich bin der André Heller. Das glaube ich schon lange nicht mehr. […] Ich bin in einem menschlichen Körper, damit ich dieses Studium hier in der Polarität leisten kann. […] Aber man darf das nicht mit sich verwechseln.
  • ab 7:59: (auf die Frage, ob er noch ein Ziel oder einen Traum habe) Aus dem Entwurf eines Menschen einen halbwegs gelungenen Menschen machen. Das ist das einzige Projekt, das für jeden gilt. […] Ich glaube, dass man viele Expeditionen machen sollte; dass man sich mit immer neuen Erfahrungen einlassen soll, dass es nicht wichtig ist, ob das Triumphe werden, oder für die anderen Leute Niederlagen sind; dass man seine Lektion verstanden hat.
  • ab 9:57: Zum Zeitvertreib sind wir hier nicht. Je früher man das begreift, und je früher man sich auf den Weg macht, ohne ein anderes Ziel, als sich lernend zu verwandeln, desto besser beraten ist man.
  • ab 11:14: Es gibt Leute, die nicht willens sind, in den Mut zu gehen. Nicht weil sie’s nicht könnten, sondern weil sie’s verweigern. Weil ihnen irgendeine innere Stimme sagt, das wird schiefgehen. […] Es ist eine Frage des Bewusstseins, das man zu einem bestimmten Zeitpunkt hat. Und offensichtlich leben Menschen mit gewaltigen Bewusstseinsunterschieden nebeneinander, manchmal auch miteinander, in dieser Welt.
  • ab 14:03: Die Schamanen im Amazonas sagen, wenn dir einer etwas Schlechtes wünscht, dann kommt das zu dir, verwandelt sich für dich in etwas Gutes und kommt zum Absender zurück und trifft ihn mit der vollen Härte seines negativen Wunsches.
  • ab 14:57: Die Spezialität von diesem Planeten ist Polarität. Das heißt, wir werden bis zum letzten Atemzug zwischen kalt, warm, hoch, tief, schön, hässlich, klug, idiotisch oszillieren.
  • ab 15:15: (auf die Frage, ob das Polaritätsgesetz stärker als das Resonanzgesetz sei) Das Resonanzgesetz overruled das Polaritätsgesetz dort, wo man es klug einsetzt. Man kann in dieser Polarität Energien rausschicken, die die negativen Energien für einen selber zunächst dämpfen und eines Tages einfach abwehren. […] Wenn ich das alles mit 40 gewusst hätte, wäre ich schon ganz woanders gelandet. Aber ich hab‘ begonnen so mit Ende 40 langsam zu begreifen. Während bei meinem Sohn und in eurer Generation – ihr habt schon, wenn ihr Glück gehabt habt, gelernt, wie das ist, wenn man von einer gewissen Liebe umgeben ist, die einem ein Selbstwertgefühl vermittelt. Man ist in eurer Generation relativ früh von manchen ernst genommen worden. Als ich jung war, war jung sein wie eine Krankheit. […] Deswegen ist es eine unglaubliche Dummheit, wenn es Leute gibt, die sagen, der Bob Dylan hat den Nobelpreis nicht verdient.
  • ab 18:12: Jeder Abend ist für mich heilig, und jeder Morgen ist für mich heilig. Und zu Weihnachten fällt mir immer nur dieser wunderbare Satz vom Angelus Silesius ein: Und wäre Christus tausendmal in Bethlehem geboren aber nicht einmal in deinem Herzen, so wärst du dennoch verloren.

Und hier kommt nun Das System samt Text zum lauten Mitpfeifen und -singen! So lange zu wiederholen bis der Mindset von selbst trägt!

Oder doch noch eine kurze Anekdote vorab. Als ich den Song wie oben beschrieben beim Multipolar-Magazin entdeckt hatte, habe ich mich im Internet auf die Suche nach der LP gemacht, auf der er zum ersten Mal erschienen war. Ich habe eine LP namens „Starportrait André Heller“ gefunden, und zwar ausgerechnet auf …. bertelsmann.com! Auf dieser LP gibt es auch noch einen Song mit dem schönen Titel Die Lüge ist wahrer als die Wahrheit, weil die Wahrheit so verlogen ist. Diesen Song kenne ich nicht und mich würde der Text interessieren. Der scheint aber nirgendwo aufzufinden zu sein. Vielleicht ist der Song aber auch rein instrumental? Wenn du ihn kennst und es einen Text dazu gibt, schreib ihn doch mal in den Kommentar!

Jetzt aber! Singen und Pfeifen!

Das System

Wein wieder, wenn Du weinen willst,
verzichte nicht auf die Verzweiflung,
leiste dir eine Mutlosigkeit,
sabotiere den Helden in dir.

 

Tauch manchmal in den Rauch der Angst,
ein Abgrund fehlt dir doch nie.
Zum Kotzen ist doch wirklich bloß
die viele, viele falsche Sympathie.

 

Da ist ein System, ein gewinnbringendes System,
das will dich entmündigt und bequem.
Und mit der Milch der frommen Denkungsart,
da wird bei dir nicht, bei mir nicht,
nirgendwo gespart.

 

Drum wein ich schon lange, wenn ich weinen will.
Merke dir, das irritiert sie am meisten,
in dieser großen, großen, großen Leistungszeit
will ich mir meine Nachdenklichkeit leisten.

 

Mein Kleid, das ist der Rauch der Angst.
Abgründe sind meine Gründe
Wenn einer heute irgendwo nicht mehr lügt,
das nennt man jetzt die Sünde.

 

Da ist ein System, ein großartiges System,
das will euch entmündigt und bequem.
Und mit der Milch der frommen Denkungsart,
da wird bei dir nicht, bei mir nicht,
nirgendwo gespart.

 

Tauch manchmal in den Rauch der Angst,
ein Abgrund fehlt dir doch nie.
Zum Kotzen, meine Herrschaften zum Kotzen ist doch wirklich bloß
die viele, viele falsche Sympathie.

 

So ist es doch!

 

Zum Kotzen ist doch wirklich bloß
die viele falsche Sympathie.

Bildnachweis: Headerbild: André Heller grüßt in seinem ANIMA-Garten mit der Hand am Herzen. Foto aufgenommen von Daniela David ©DDAVID. Mit Dank an die Fotografin für die freundliche Genehmigung, es hier zu verwenden! Daniela David ist Reisejournalistin, Filmautorin und Gartenentdeckerin, betreibt den Blog vonREISENundGAERTEN.de und hat André Heller vor 3 Jahren in seinem ANIMA-Garten Marrakesch getroffen und interviewt. Das Interview kann auf ihrem Blog nachgelesen werden. Man erfährt Interessantes über die Entstehung des Gartens und bekommt weitere Einsichten in das Weltbild Hellers. Beispielhaft gebe ich hier einen Ausschnitt wieder:

  • DD: “ANIMA – die Rückkehr des Paradieses“ heißt Ihr Garten. Was muss der Mensch tun, um ins Paradies zu kommen?
  • AH: Zunächst einmal muss er das Paradies in sich finden. Es ist der Ort, wo das Mitgefühl, wo das Wissen ist. Eben die Seele. Du hast ein Paradies in Dir. Aber wir leben ja immer im Geist und nicht im Gefühl. Und wir sind ja so stolz darauf, so rational zu sein. Immer auf Kurs bleiben mit den Gedanken. Aber die Gedanken sind das Mächtigste, was es gibt. Sie schaffen eine Wirklichkeit. Daher ist mein Weg, an manchen Tagen mein läppischer Versuch, ein Bewusstsein zu erlangen, dass mir Gedanken schaffen kann, die mich erfreuen und die nicht eine Bestrafung sind oder mir Minderwertigkeitskomplexe machen.

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