Auf 2 und 4 in den Sommer
Um schon mal gleich in den korrekten Sommer-Groove zu kommen, klicke doch mal zuerst auf One Love bevor du weiter liest!
One love, one heart.
Let′s get together and feel all right
…
Have pity on those whose chances grow thinner.
There ain′t no hiding place from the Father of Creation.
Sayin‘: „One love, one heart. Let′s get together and feel all right“
Für mich ist Reggae die Sommermusik schlechthin. Meine Freundin Nicole und ich haben damals oft Zeit damit verbracht, stundenlang in ihrem Zimmer unterm Dach angesagte Songs mitzusingen und unsere Gesangskünste dabei auf Band aufzunehmen, während ihre Mutter im Haus werkelte und uns ab und zu Getränke oder Gebäck vorbei brachte. Insbesondere hatten es uns die beiden Alben Graceland von Paul Simon, auf dessen Innenhülle praktischerweise die Texte gleich abgedruckt waren, und das legendäre Album Legend von Bob Marley angetan, die wir bald im Schlaf ′rauf und ′runter singen konnten.
Besonders der Sommer 1988 nach dem Abi ist für mich geprägt von Erinnerungen an Bob Marley, Nicole und Rauris. In diesem österreichischen Örtchen hatten wir nämlich mit einer Gruppe von etwa 15 Gleichaltrigen ein altes Bauernhaus gemietet. Den ganzen Tag haben wir getan, was man so tut in dem Alter. Wir haben am nahen Bach herumgelegen, die Gegend erkundet, gelesen, Musik gehört, gesungen, …
Nachts haben wir mitunter auf den draußen stehenden Bänken geschlafen (nicht immer angenehm, wenn sich Ameisen in den Schlafsack verirrt hatten!). Einmal wurde eine wilde Jagd auf alle veranstaltet, weil jeder aus irgendeinem unerfindlichen Grund voll bekleidet unter die eiskalte Dusche gezerrt werden musste. Ein anderes Mal sind Nicole und ich nach Salzburg getrampt. Dabei hatten wir Glück, und ein deutscher Student, der in Salzburg irgendwas mit Kunst studierte, hat uns aufgegabelt und uns in Salzburg eine ausführliche Stadtführung gegeben. Nicht erinnern kann ich mich daran, wie wir wieder nach Rauris zurückgekommen sind.
Häufig saßen wir abends in der Runde und haben uns gegenseitig aus den damals einschlägigen Rowohlt- und Suhrkamp-Klassikern vorgelesen … natürlich Hannah Arendt und Simone de Beauvoir, auch Handtke, Wallraff, Dürrenmatt, … unübertroffen Erich Fried, ganz hoch im Kurs Milan Kundera … oder Warhol/Capote und Susan Sontag. Mich hatte damals Sartres Das Spiel ist aus eigentümlich in seinen Bann gezogen.
Gestern habe ich es nach 34 Jahren zum zweiten Mal gelesen, damals wie heute an einem Gebirgsbach liegend. Ein Revolutionär und eine „Dame der Gesellschaft“ kommen zur geichen Zeit gewaltsm zu Tode. Doch sie erhalten die Möglichkeit, wieder ins Leben zurückzukehren, wenn sie es schaffen, sich 24 Stunden lang bedingungslos der Liebe zu widmen. Sie kommen also auf die Erde zurück, um vorbehaltlos zu lieben. Doch sie scheitern am Ende, weil sie es nicht schaffen, sich den Impulsen zu anderweitigen Handlungen zu entziehen. So kann der Revolutionär nicht davon ablassen, für des vermeintlich Gute zu kämpfen. Ja, der Versuch, seine ehemaligen Freunde zu retten, führt erst dazu, dass sie von der Miliz entdeckt werden, da er beim Aufsuchen des Verstecks von einem Spitzel verfolgt wird. Im Übrigen scheitern die beiden nicht nur bei dem Versuch zu lieben, sondern auch bei dem Versuch, ihre Mitmenschen von Wahrheiten zu überzeugen, die sie nicht hören wollen.
Nicole hatte damals neben dem Fänger im Roggen auch den Herrn der Fliegen dabei und pflegte darüber hinaus eine Vorliebe für Kurt Schwitters, Ringelnatz, Siegfried Lenz und Stefan Zweig, während ich u.a. Camus, Max Frisch und Stanislav Lem im Gepäck hatte. Letzterer hat kürzlich eine Renaissance bei mir erfahren, als mein Lehrgebiet auf unserer Zoom-Weihnachtsfeier 2020 meine Vorlesekunst anhand der 8. Reise des Ijon Tichy aus den Sterntagebüchern über sich ergehen lassen musste.
In Rauris hatte sich besonders Das Tagebuch 1966-1971 von Max Frisch als sehr diskussionsergiebig erwiesen, befanden sich darin doch mehrere Fragebögen zu diversen Themen, die Anlass zu endlosen philosophischen Ausschweifungen boten. Vor einigen Tagen habe ich das vollgekritzelte, blaue Suhrkamp-Taschenbuch aus dem Regal gegriffen und finde einige Fragen heute teilweise arg aus der Zeit gefallen, andere erstaunlich/erschreckend aktuell. Bspw. zum Thema Finanzen die Frage 11:
„Erklären Sie, wieso die Staatsbank bestimmt, wieviel das Geld wert ist, das Sie als Lohn erhalten und gespart haben, und zu wessen Gunsten sich Ihre Ersparnisse plötzlich verflüchtigen?“
Oder Frage 25:
„Haben Sie schon mal eine große Banknote mit dem Portrait eines großen Dichters oder eines großen Feldherren, dessen Würde von Hand zu Hand geht, angezündet mit einem Feuerzeug und sich angesichts der Asche gefragt, wo jetzt der verbürgte Wert bleibt?“
Um nun endlich auf den Punkt zu kommen: dieses ganze Szenario des Sommers ’88 ist in meiner Erinnerung durchgängig von Bob Marleys Musik (und unserer zugehörigen Gesangsobsession) unterlegt. Es hat sich offensichtlich so stark in meine Gehirnwindungen eingebrannt, dass sich regelmäßig zu Sommerbeginn meine Finger in die Reggae-Sammlung verirren, so auch kürzlich beim Autofahren mal wieder ins Legend-Album. Dieses Mal haben aber neben dem Groove, der so gut wie immer bei mir wirkt, auch die Texte eine besondere Anziehungskraft und Aktualität ausgestrahlt.
Marley hat die Song-Texte natürlich im Kontext der Rastafari-Bewegung verfasst. Aber Vieles, was sich auf die Befreiung der Schwarzen bezieht, lässt sich mühelos auf das Thema der Befreiung in einem generellen Sinn übertragen.
Besonders bemerkenswert finde ich, dass es Bob Marley 1978, in einer Zeit gewalttätiger Auseinandersetzungen, auf einem Konzert in Kingston geschafft hat, den jamaikanischen Premierminister und den Führer der verfeindeten Oppositionspartei auf die Bühne zu bringen und sie zu veranlassen, einander die Hände zu reichen. In der Folge ließen die Anhänger der kontrahierenden Parteien weitgehend von Gewalttätigkeiten ab. Dem vorausgegangen waren Entwicklungen, in die Marley und seine Familie ebenfalls involviert waren.
Die Details kann man auf Wikipedia nachlesen oder auch in einem interessanten Dokumentarfilm über Bob Marley erfahren. In einer sehr kurzen Einstellung dieses Films kannst du die Szene des widerstrebend gegebenen Händedrucks sehen (hier etwa bei Minute 3; der gesamte 45-minütige Film ist auf YouTube in 5 Teile getrennt zu sehen).
Für mich ein weiteres Beispiel, das die Kraft der Musik, insbesondere der Live-Musik, und den Einfluss einer gleichschwingenden Gemeinschaft veranschaulicht.
Zum Schluss noch ein Song zum Mitsingen. Zuerst wollte ich Get up, Stand up hier einfügen, in dem die schönen Zeilen
You can fool some people sometimes
But you can’t fool all the people all the time
vorkommen. Doch dann habe ich mich für den Erlösungs-Song entschieden – des Textes wegen. Selbst Atomenergie kommt darin vor…
Also: klicke, singe, schwinge … wie immer, halt … und federe locker auf 2 und 4 in den Sommer ab!
Redemption Song
Old pirates, yes, they rob I
Sold I to the merchant ships
Minutes after they took I
From the bottomless pit
But my hand was made strong
By the hand of the Almighty
We forward in this generation
Triumphantly
Won′t you help to sing
These songs of freedom?
′Cause all I ever have
Redemption songs
Redemption songs
Emancipate yourselves from mental slavery
None but ourselves can free our minds
Have no fear for atomic energy
′Cause none of them can stop the time
How long shall they kill our prophets
While we stand aside and look? Ooh
Some say it’s just a part of it
We’ve got to fullfil the book
Won′t you help to sing
These songs of freedom?
′Cause all I ever have
Redemption songs
Redemption songs
Redemption songs
Emancipate yourselves from mental slavery
None but ourselves can free our mind, Woah
Have no fear for atomic energy
′Cause none of them-a can-a stop-a the time
How long shall they kill our prophets
While we stand aside and look?
Yes, some say it′s just a part of it
We’ve got to fullfill the book
Won′t you help to sing
These songs of freedom?
′Cause all I ever had
Redemption songs
All I ever had
Redemption songs
These songs of freedom
Songs of freedom
Headerbild: Robert Nesta Marley by Warinhari, Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0