Lass dich fallen
Als ich die Einladungskarte für die Feier des besten 50. Geburtstags meines Lebens entwarf, wollte ich neben der oben abgebildeten Fotografie, aufgenommen auf Madeira am Wegesrand, einen Text wiedergeben, der ein lockeres Abfedern in den neuen Lebensabschnitt einleiten sollte. Die Auswahl hatte sich zum Schluss auf zwei Gedichte verengt, von denen ich dem nicht gewählten hier zu seinem Recht verhelfe und es als heutige Inspiration in die Nacht schicke.
Es ist von Joseph Beuys, über den sicher schon Bände geschrieben wurden. Dem Magier, dem Visionär, dem Schamanen, dem Gesellschaftskritiker, dem Hochschullehrer, der für seine Vorstellung von Lehrfreiheit seine Entlassung in Kauf nahm.
Weiter unten habe ich noch ein Video von einer Podiumsdiskussion mit Joseph Beuys eingefügt, die etwa um 1970 stattgefunden hat. Seine Aussagen verdeutlichen Beuys‘ Haltung zu Themen wie Ganzheitlichkeit, Grundgesetz, Parteienbürokratie, Gemeinschaft, Revolution, Lachen, Demokratie, Bewusstseinserweiterung, Kreativität und Selbstbestimmung. Themen, die aktueller nicht sein könnten. Unter dem Video habe ich Zeitabschnitte, die ich interessant finde, mit entsprechenden Themen gekennzeichnet.
Hier aber zunächst das Gedicht. So schlicht diese Zeilen vielleicht auf den ersten Blick wirken, so steckt in ihrer Einfachheit doch eine Kraft, die Bilder und Erinnerungen in uns entstehen lässt und uns vielleicht ein Stück weit in Richtung Ursprünglichem zurückführen kann.
Fühle dich mal in seine Vorschläge ein! Was wirst du als nächstes tun? – Ich werde als Nächstes mal jemand Gefährlichen zum Tee einladen.
Lass dich fallen
Joseph Beuys
Lass dich fallen.
Lerne Schlangen beobachten.
Pflanze unmögliche Gärten.
Lade jemand Gefährlichen zum Tee ein.
Mache kleine Zeichen, die „Ja“ sagen und
verteile sie überall in deinem Haus.
Werde ein Freund von Freiheit und Unsicherheit.
Freue dich auf Träume.
Weine bei Kinofilmen.
Schaukle so hoch du kannst
mit einer Schaukel bei Mondlicht.
Pflege verschiedene Stimmungen.
Verweigere dich, verantwortlich zu sein.
Tue es aus Liebe.
Mach eine Menge Nickerchen.
Gib Geld weiter. Mach es jetzt.
Das Geld wird folgen.
Glaube an Zauberei.
Lache viel.
Bade im Mondlicht.
Träume wilde phantasievolle Träume.
Zeichne auf die Wände.
Lies jeden Tag.
Stell dir vor, du wärst verzaubert.
Kichere mit Kindern.
Höre alten Leuten zu.
Öffne Dich. Tauche ein. Sei frei.
Preise dich selbst.
Lass die Angst fallen.
Spiele mit allem.
Unterhalte das Kind in dir.
Du bist unschuldig.
Baue eine Burg aus Decken.
Werde nass.
Umarme Bäume.
Schreibe Liebesbriefe.
- 0:46:30 – 0:48:22: Revolution, Grundgesetz, Selbstbestimmung
- 0:14:30 – 0:14:58: Bewusstseinserweiterung, Parteipolitik, Bürokratie
- 1:15:24 – 1:18:10: Ursprung der Intuition, Kunst vs. Wissenschaft, Erziehung
- 1:27:30 – 1:28:10: wie etwa Neues in die Welt kommt
- 1:06:10 – 1:08:00: Kunst als notwendige Nährsubstanz des Menschen
- 0:06:40 – 0:09:42: Erweiterung des Wissenschaftsbegriffs, Freiheit und Entwicklung der Menschheit
- 0:15:22 – 0:16:27: Freiheit, Wille, Gefühl, Unterbewusstes
- 0:38:24 – 0:39:13: Wollen Sie ein Revolution ohne Lachen machen?